Vi! – The continuous state of suspense
Die Fotografie hat einen besonderen Vorteil gegenüber dem menschlichen Auge: sie kann Bewegungsabfolgen in ihrer ganz eigenen Komplexität sichtbar machen. Doch kann sie diese durch die bewusste Konzentration auf einen speziellen Moment innerhalb des Ablaufes auch wieder dekonstruieren, abstrahieren, neu interpretieren. Wenn der Fotograf Meinrad Hofer die Choreografin und Performerin Silke Grabinger springend innerhalb weitläufiger Landschaften mittels schneller Bildabfolgen fotografiert, geht es ihm nicht um eine genaue Bewegungsstudie zwischen Absprung und Landung, sondern um die Sichtbarmachung eines einzigen Momentes. Die Serie „Vi! – The continuous state of suspense“ hält das Ephemere der Performance als fotografisches Zufallsprodukt in einem Moment fest und fügt den Stillstand des Körpers in die scheinbar zeitlose Leere der Landschaft ein. Umgangssprachlich versteht man unter einem Sprung eine Bewegung oder auch eine sportliche Übung. Und jeder weiß: Springen hat mit Mut zu tun. Es gilt im richtigen Moment loszulassen, den gefühlten Todesmoment zu überwinden. Als Sprung versteht man aber auch einen feinen Riss, entweder in einem Material, oder auch in Form einer bewusst gewählten Lücke innerhalb einer zeitlichen Abfolge. So bedeutet ein Zeitsprung das Überspringen eines Abschnittes innerhalb eines geschlossenen Ablaufs. Für die Serie „Vi! – The continuous state of suspense“ lassen sich gleich beide Bedeutungen des Wortes zusammenbringen. Seit 2009 ist Grabinger von dem ephemeren Charakter dieses speziellen Bewegungsablaufes fasziniert und erarbeitet Fotoserien in verschiedenen Kollaborationen. Anfangs springt sie häufig umgeben von Menschenmassen, und das in Afrika, den USA und Europa. Ihre Sprünge verstehen sich gemäß der ersten Definition. Sie führt die Bewegung aus und konzentriert sich dabei rein auf den Ablauf. Es ist der Moment der Loslösung während des Sprungs, der die Choreografin und Performerin immer wieder antreibt. Im Flug fühlt sie sich eins mit der Landschaft, bis zur Landung in der Realität. Zusammen mit dem Fotografen Meinrad Hofer macht sie sich 2018 auf die Suche nach menschenleeren Orten, bis sie schließlich in Islands vulkanischer Landschaft fündig werden. Innerhalb der Ruhe, Weite und scheinbaren Endlosigkeit der isländischen Landschaft wird der Sprung dezentralisiert, und die formale Ästhetik zwischen Bewegungsablauf und Umgebung rückt in den Vordergrund.
Anders als Grabinger, konzentriert sich Hofer auf das Kreieren von Zeitsprüngen gemäß der zweiten Definition des Wortes. Er hält die Abfolge der Sprünge in vielen einzelnen Bildern fest, nur um sich später ganz auf einen Moment zu konzentrieren. Allein die Fotografie teilt die Zeitspanne des Sprungs in einzelne Abbildungen und macht die tatsächliche Bewegung des Körpers sichtbar, der für einen kurzen Moment stillzustehen scheint. Er überspringt also das Davor und Danach der Bewegung, filtert den Ablauf und konzentriert sich ganz auf einen Abschnitt. Das Besondere dieser Kollaboration ist die gleichwertige künstlerische Fusion von Fotografie und Performance. Hofers Streben nach Perfektion ergänzt sich mit Grabingers konzeptioneller Zugangsweise und schafft einzigartig schöne Momentaufnahmen. In den Fotografien bettet sich der menschliche Körper im Sprung in die ansonsten menschenleeren Landschaften ein. Durch das bewusste Spiel mit dem zeitlichen Ablauf des Sprungmomentes wird es möglich, den Körper scheinbar einzufrieren und so auf den formalen Dialog zwischen Sprung und Landschaft zu achten. Der teilweise stark abstrakt verformte menschliche Körper befindet sich vermeintlich im Schwebezustand. Ganz so, als wäre die Welt beim Einatmen kurz stehen geblieben.
Choreografin/Performerin: Silke Grabinger
Fotograf: Meinrad Hofer
Kuratorin/Text: Anna M. Burgstaller
Alle Fotografien sind Teil einer limitierten Edition und als C-print auf Dibond gedruckt:
180x252cm 1+1AP
152x213cm 2+1AP
114x160cm 3+1AP
75x105cm 4+1AP
20.3.– 26.4.2019 Galerie DISTRICT4art/ FOTO WIEN
15.1.– 15.2.2020 Galerie Red Carpet Karlsplatz Wien